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Epstein-Barr-Virus – Ursache der MS?

Studien belegen einen kausalen Zusammenhang zwischen einer EBV-Infektion und der Entstehung von MS. Erfahren Sie mehr.

Das Epstein-Barr-Virus (EBV) steht schon lange im Verdacht, an der Entwicklung einer Multiplen Sklerose beteiligt zu sein. Neue Studien scheinen jetzt erstmals eine Kausalität zu belegen.

Bereits seit den Anfängen der MS-Forschung werden Viren als Auslöser der Erkrankung diskutiert, wobei das Hauptaugenmerk schon immer auf dem Epstein-Barr-Virus (EBV) lag. EBV gehört zu den humanen Herpesviren und wird vornehmlich über den Speichel übertragen. Während eine Infektion bei Kleinkindern meist asymptomatisch verläuft, kann sie bei älteren Kindern und Erwachsenen eine infektiöse Mononukleose, auch Pfeiffersches Drüsenfieber genannt, auslösen. Nach einer Infektion verbleibt das Virus lebenslang im Körper, genauer in den B-Zellen, und wird immer wieder phasenweise asymptomatisch ausgeschieden.

EBV kann zahlreiche Krebserkrankungen, insbesondere Lymphome, verursachen und ist neueren Daten zufolge für ein Prozent aller Tumorerkrankungen weltweit verantwortlich. Zudem ist EBV nicht nur mit MS, sondern mit weiteren Autoimmunerkrankungen assoziiert.  Ab dem 40. Lebensjahr sind etwa 98 % der Menschen mit EBV infiziert. Diese hohe Durchseuchung macht den Nachweis eines kausalen Zusammenhangs zwischen EBV und MS schwierig. Zum Beweis, dass eine EBV-Infektion der Multiplen Sklerose Erkrankung vorausgeht, braucht es eine sehr große Kohorte von EBV-negativen Individuen, die regelmäßig Blutproben abgeben. Einem Forschungsteam ist dies jedoch jetzt gelungen.  

EBV-Infektion als Voraussetzung einer MS-Entstehung

Für ihre bahnbrechende Studie griffen die Forschenden auf eine Kohorte von mehr als 10 Millionen jungen Mitarbeitenden des US-Militärdienstes zurück, von denen über einen Zeitraum von 20 Jahren mehrfach Serumproben gesammelt wurden. Denn alle Menschen, die in den Dienst des US-Militärs treten, werden zu Beginn und dann alle zwei Jahre auf HIV gescreent. Diese Proben werden aufbewahrt und standen nun zur Untersuchung des EBV-Status zur Verfügung. 

995 der untersuchten Mitarbeitenden erkrankten im Verlauf an MS, von 801 von ihnen lagen Serumproben vor. Bei allen bis auf einen konnte in den Blutproben eine frühere EBV-Infektion nachgewiesen werden. Auch bei der einen Probe schließen die Forschenden eine Infektion mit EBV nicht aus, da sich die Person auch erst nach der letzten Blutabnahme angesteckt haben könnte.

Mit den gewonnenen Daten konnten die Forschenden erstmals zweifelsfrei bestätigen, dass es erst zu einer Infektion mit EBV kommt und dann zur Entstehung einer MS. Zudem ist es ihnen gelungen, das Risiko für MS nach einer EBV-Infektion im jungen Erwachsenenalter zu quantifizieren. Demnach ist das Risiko um das 32-fache erhöht. Zum Vergleich: Genetische Faktoren erhöhen das MS-Risiko beispielsweise um etwa das Dreifache.

Erster Hinweis auf Pathomechanismus

Wie genau eine EBV-Infektion zur Entstehung einer MS beitragen kann, ist unklar. Einer weiteren Forschungsgruppe ist es jedoch gelungen, einen Mechanismus nachzuweisen, wie eine EBV-Infektion Nervenzellen bei MS schädigen könnte: Im Nervenwasser von MS-Betroffenen fanden sie kreuzreaktive Antikörper gegen einen bestimmten Bestandteil von EBV (EBNA1), die sich gleichzeitig gegen ein körpereigenes neuronales Protein richtet. Diese kreuzreaktiven Antikörper können also eine Nervenschädigung bei MS auslösen.

Expert:innen vermuten, dass auch die Wirksamkeit der B-Zelltherapie bei MS teils darauf beruht, dass mit der Entfernung der B-Zellen auch ein „Unterschlupf“ von EBV im Körper entfernt wird.

Da das Virus so weit verbreitet und leicht übertragbar ist, kann man sich kaum vor einer Ansteckung schützen. Eine Impfung gibt es bisher nicht, jedoch arbeiten Unternehmen derzeit sowohl an der Entwicklung eines prophylaktischen als auch eines therapeutischen Impfstoffes.

Quellen

  1. Vortrag „Epstein-Barr-Virus als Ursache der MS?“, Klarissa H. Stürner, UKSH Kiel
  2. Bjornevik K et al. Science. 2022;375:296.
  3. Lanz TV et al. Nature. 2022;603:321.