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Progression bei MS: Interview mit MS-Nurse Anna

Der Progression auf die Spur kommen und ein Bewusstsein für Anzeichen auf ein Fortschreiten der Erkrankung schaffen – das ist MS-Nurse Anna besonders wichtig. Welche gezielten und alltagsrelevanten Fragen dabei helfen können, verrät die Checkliste, die wir gemeinsam mit Anna entwickelt haben. Im Interview gibt Anna darüber hinaus Einblicke, welche Aspekte ihr in MS-Sprechstunden mit ihren Patient:innen immer wieder begegnen.

Über Anna

Anna betreut und berät MS-Patient:innen am Neurocentrum Odenwald. Die Arbeit als MS-Nurse ist Annas Leidenschaft und Berufung. Dabei legt sie viel Taktgefühl und Respekt an den Tag. Ihre Patient:innen wissen ihre offene und fröhliche Art zu schätzen. Anschaulich erklärt die MS-Nurse, wie sich Progression im Alltag mit MS bemerkbar machen kann und welche Auswirkungen das für ihre Patient:innen hat. Besonderen Fokus legt sie darauf, wie wichtig es für Menschen mit MS – und speziell auch PPMS – ist, Therapieziele klar zu definieren und Hand in Hand zu arbeiten, um sie zu erreichen.

Ein wichtiges Stichwort bei MS lautet „Progression“. Was versteht man darunter?

Unter Progression versteht man im Allgemeinen das Fortschreiten einer Erkrankung. Dabei lässt sich erst rückblickend feststellen, ob eine Progression vorliegt oder nicht. Bei MS nimmt die Progression bedingt durch die Neurodegeneration, also das Absterben von Nervenzellen, zu. Das bedeutet, die Symptome verschlechtern sich im Laufe der Zeit. Beispielsweise nimmt das Gehvermögen eines Patienten nach und nach ab: Er geht langsamer und unsicherer. Auch Blasenfunktion und Kognition können darunter leiden.

Inwiefern unterscheiden sich denn die schubförmigen und die progredienten Verlaufsformen in puncto Progression?

Wie gesagt, eine Progression lässt sich eher rückblickend diagnostizieren. Wenn zum Beispiel ein Patient in die Praxis kommt und berichtet, dass er seit zwei, drei Jahren beim Laufen immer langsamer wird. In diesem Fall sprechen wir von Progression. Auch ein Schub kann zu Einschränkungen führen, doch das merkt der Betroffene sofort: Er wacht beispielsweise morgens auf und die Fußzehen sind pelzig. Abends merkt er dann, dass sich die Taubheit über den kompletten Fuß ausgebreitet hat. Am nächsten Tag fühlt sich schon der komplette Unterschenkel bis zum Knie pelzig an. Das Ganze kann ziemlich zügig voranschreiten – innerhalb von 24 bis 48 Stunden. Dieses Gefühl ist dann durchgehend da und bedarf einer Kortison-Stoßtherapie. Wenn sich die Symptome eines Schubs nicht vollständig zurückbilden, ist dies auch eine Form der Progression.

Warum ist Progression gerade für PPMS-Patient:innen relevant? Wissen die meisten, was mit dem Begriff gemeint ist?

Progression ist deshalb für PPMS-Patienten relevant, weil es sich dabei – wie es der Name schon sagt – um eine progrediente Verlaufsform handelt, bei der keine Schübe auftreten. Der aufgeklärte Patient weiß das in der Regel. Es gibt allerdings auch einige Patienten, die mit dem Begriff eher weniger anfangen können.

Die individuelle Progression ist auch ein wichtiger Faktor, wenn PPMS-Patienten bei uns eine Therapie starten. Bei jedem ist die PPMS ja unterschiedlich weit vorangeschritten. Deshalb erkläre ich immer, dass die Medikamente die Progression nicht rückgängig machen können. Beispielhaft veranschaulicht heißt das: Es ist nicht möglich, dass jemand nur durch die Therapie wieder aus dem Rollstuhl aufsteht und danach einen Marathon läuft. Vielmehr ist das Ziel, die Krankheitsaktivität zu bremsen und die Progression zu verlangsamen.

Inwieweit hängen die Therapieziele „Krankheitsaktivität verhindern“ und „Progression bremsen“ zusammen und wie lassen sich diese erreichen?

Im Prinzip hängt das eine von dem anderen ab: Indem man die Krankheitsaktivität verringert, lässt sich auch die Krankheitsprogression eindämmen. Die meisten Medikamente wirken nur gegen die Entzündungsaktivität im Körper. Bei PPMS lässt sich die Progression mit einer medikamentösen Therapie verlangsamen.

Ergänzend dazu kann auch regelmäßiges Training etwas bewirken – sowohl bei kognitiven Beeinträchtigungen als auch auf körperlicher Ebene. Eine PPMS-Patientin von mir schnitt bei kognitiven Tests schlecht ab. Das hat die Patientin sehr schockiert, aber auch motiviert zu üben. Ihre Strategie war, sich kognitive Tests aus dem Internet herunterzuladen, regelmäßig Wörter und eine neue Sprache zu lernen. So ist es ihr gelungen, ihre Gehirnleistung zu fördern.

Auch regelmäßiges körperliches Training kann bestimmte Körperfunktionen verbessern: Muskelkraft, Ausdauer, Gleichgewicht und Beweglichkeit. Auch wenn ein MS-Patient deutlich mehr trainieren muss, um einen Effekt zu erzielen, als ein gesunder.

Gibt es einfache Mittel, mit denen PPMS-Betroffene feststellen können, ob ihre Therapie die Progression bremst?

Da Progression ein schleichender Prozess ist, setze ich auf individuelles Tracking. Meine PPMS-Patienten bekommen immer die Aufgabe, den eigenen Status quo zu dokumentieren: zum Beispiel einmal wöchentlich die Zeit für eine bestimmte Gehstrecke, die Gehstrecke bis zur ersten Pause und die insgesamt zurückgelegten Schritte. Auch die Temperatur und die Tageszeit sollen sie aufzeichnen, abends sind die meisten erschöpfter. So lässt sich der Jahresdurchschnitt ermitteln, denn je nach Jahreszeit hat man unterschiedliche Ergebnisse – im Sommer meist schlechtere als im Frühling und im Herbst. Der Grund dafür ist, dass im Sommer die Außentemperatur höher ist, somit steigt auch die Körpertemperatur, wodurch auch die Nervenleitfähigkeit beeinflusst wird. Auch Kälte kann einen Effekt haben.

Diese Daten liefern dem Neurologen eine gute Grundlage, um zu überprüfen, ob der Patient von der Therapie profitiert. Ohne regelmäßige Aufzeichnungen kann man das sonst schlecht messen.

Der Progression auf die Spur kommen

Um auch schleichende Veränderungen wahrnehmen zu können, erfordert es besondere Aufmerksamkeit. Dabei können entweder analoge Checklisten oder digitale Helfer unterstützen.  

Mit Checklisten können Sie Ihren Patient:innen gezielte Fragen zu Alltagssituationen stellen. Auf diese Weise werden nicht nur bereits bekannte Symptome allgemein abgefragt: Es geraten auch Aspekte ins Blickfeld, die Patient:innen bisher vielleicht nicht – oder nicht als MS-bedingte Symptome – bewusst waren.  

Eine digitale Möglichkeit ist die Smartphone-Anwendung Floodlight® MS von Roche, die in verschiedenen Apps integriert wurde. Damit haben MS-Patient:innen die Möglichkeit, den Verlauf ihrer motorischen und kognitiven Fähigkeiten langfristig auf dem Smartphone zu verfolgen. Zusätzlich können sie ihre Ergebnisse auch mit ihrem Behandlungsteam teilen. 

Mithilfe dieser Dokumentationsmöglichkeiten können Sie als medizinisches Fachpersonal die Betroffenen dabei unterstützen, auch auf kleine Veränderungen aufmerksam zu werden, die Anzeichen für eine Progression sein können. 

Laden Sie die Checkliste hier runter.

Erfahren Sie hier mehr über Floodlight® MS.